Donnerstag, 29. September 2011

Was meint der Papst eigentlich mit Kirche

Hubert van Eick : Genter Altar (1426-1432),
Altar des Mystischen Lammes
Quelle: Wikipedia, Artikel: Papst
 In der Rückschau und auf Grund der vielen kritischen Anmerkungen in der Öffentlichkeit zum Papstbesuch in Deutschland Ende September 2011 in Deutschland stellen sich dem interessierten katholischen Laien Fragen: Was für eine Kirche schwebt Benedikt XVI eigentlich vor - woher kommt sein Glaubens- und Kirchenbegriff. Und: Weshalb kommt die Ökumene nicht voran.


 Erster Erklärungsversuch

Zu letzterem Punkt gibt es eine wunderschöne Metapher, die ich  in der FRANKFURTER RUNDSCHAU vom 26. September 2011 gefunden habe:

"Zwei Züge brausen aus verschiedenen Richtungen heran, halten kurz nebeneinander und fahren dann weiter. Zwar öffnet Zugchef Benedikt die Türen, um Passagiere des anderen Zuges aufzunehmen. Er hindert auch niemanden daran, auszusteigen. Aber der Netzbetrieb, der Verkehr auf anderen Gleisen, das ist für ihn irrelevant. Abweichungen von seinem Fahrplan, Richtungsänderungen gar kommen ihm nicht in den Sinn" 
Der komplette FR-Artikel: Hier


Ein erster Ansatz, zwar launisch vorgetragen, jedoch nicht hinreichend. Also hilft vielleicht ein Griff zur einschlägigen Literatur, zum Beispiel zu einem zugegebenermaßen nicht mehr ganz taufrischen Werk namens "Grundkurs des Glaubens" (erstmals erschienen 1976) von Karl Rahner, einen der bekanntesten Theologen des 2. Vatikanischen Konzils und Verfassser zahlreicher Werke der Glaubenslehre, auch zusammen mit Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst.

Rückschau - der Erklärungszusammenhang Vaticanum 2

Es ist hier jetzt nicht möglich, auf alle Facetten des 2. Vaticanums und der darauf folgenden Weiterentwicklung der Katholischen Kirche einzugehen. Die Lektüre eines der grundlegensten Einführungen in die katholische Glaubenslehre erklärt jedoch ziemlich gut den geistlichen Horizont des Benedikt XVI.
Kurz gesagt: Wir befinden uns vor dem Vaticanum 2 in der Welt der frühen 60er Jahre. Die katholische Kirche dieser Zeit kannte keine weiblichen Messdienerinnen; die Messe wurde in lateinischer Sprache gelesen - es gab auch keinen Kirchenvorstand oder einen Zentralrat deutscher Katholiken (ZdK), wo die Mittglieder etwas zu sagen gehabt hätten. Erst Recht gab es keine Ökumene oder eine Idee davon, mit der  Evangelischen Kirche in einen Dialog zu treten. Mit Blick auf dieses Bedingungsgefüge ist die Definition von (katholischem) Glauben und Kirche in einem eigenen Licht zu sehen, weswegen ich im Folgenden ein Kapitel aus dem "Grundkurs des Glaubens" herausgreifen möchte, um die Theologie des Benedikt XVI. mir selbst - und vielleicht dem einen oder anderen Mitleser, verständlicher zu machen.

Engführung- was ist die wahre Kirche


Im Kapitel 7 "im Grundkurs des Glaubens" wird u.a. der Frage nachgegangen, ob Jesus jemals beabsichtigt habe, eine Kirche zu gründen. Ist er der Kirchenstifter und Petrus der erste Papst  (vgl. Mathäus 16.18), der in Abgrenzung zum jüdischen Glauben die Kirche des Neuen Testaments bis in die Gegenwart fortschreibt? Wenn man dies als fest gefügt annimmt, ist also die Reformation eine Abspaltung von der einzigen, allumfassenden Weltkirche und eigentlich ein Irrtum, der im Laufe der Zeit durch das Einsehen der Protestanten ein Ende finden wird?

Rahner zieht für die Beantwortung dieser Frage insbesondere zwei Schriften des Neuen Testaments zu Rate (vgl. RAHNER 1984, S. 324, 328) hier in der Form der katholischen Einheitsübersetzung

  • Mathäus 16, 18ff: 18 Ich aber sage dir: Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. 19 Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein
  • Epheserbrief 3, 8ff: 8 Mir [Paulus], dem Geringsten unter allen Heiligen, wurde diese Gnade geschenkt: Ich soll den Heiden als Evangelium den unergründlichen Reichtum Christi verkündigen 9 und enthüllen, wie jenes Geheimnis Wirklichkeit geworden ist, das von Ewigkeit her in Gott, dem Schöpfer des Alls, verborgen war. 10 So sollen jetzt die Fürsten und Gewalten des himmlischen Bereichs durch die Kirche Kenntnis erhalten von der vielfältigen Weisheit Gottes, 11 nach seinem ewigen Plan, den er durch Christus Jesus, unseren Herrn, ausgeführt hat
Gleichsam wird der Leib Christi nach dieser Auffassung in eine Form = Kirche gefasst, so dass wir diese Urkirche als unmittelbare Konsequenz Jesu Wirkens betrachten können, die durch das Petrusamt eine Spitze und die Nachfolger der 12 Jünger (=Bischöfe) eine institutionelle Form gefunden hat. Oder um es mit Karl Rahner zu sagen:
"Es gibt die eine von Christus gestiftete, von ihm erworbene, mit ihm verbundene Kirche, die gleichzeitig eine sichtbare und unsichtbare ist, die eine irdische und himmlische Seinsweise besitzt, die eine äußere Gestalt und ein inneres geisterfülltes, geheimnisvolles Wesen besitzt" (RAHNER 1984, S. 331).
 Dabei wird aber auch gleichzeitig die Freiheit des Menschen betont, sich dieser Kirche anzuschließen und sich für den Glauben an Gott bewusst zu entscheiden. Kirche wird hier immer als Gemeinschaft begriffen, eine in Form gegossene Offenbarung nach Gottes direktem Willen.

Alle Abspaltungen können nach diesem Verständnis nur "mit dem Wesen der Kirche unvereinbar" betrachtet werden (vgl. RAHNER 1984, S. 339). Der oben zitierte Auszug aus dem FR-Artikel spitzt die Haltung von Benedikt XVI. also sehr zutreffend zu.

Auf der anderen Seite wird in der theologischen Auseinandersetzung rund um das 2. Vatikanische Konzil eingeräumt, "dass die katholische Kirche sehr viel der Existenz der evangelischen Kirche verdankt" (RAHNER 1984, S. 355), es deswegen aber keinerlei Veranlassung gebe, die katholische Lehrmeinung zugunsten der evangelischen Theologie verlassen - beispielsweise hinsichtlich

  • der Entmythologisierung
  • der Leugnung der Göttlichkeit Jesu
  • der Trinität
  • die Letztverbindlichkeit des päpstlichen Lehramts (vgl. RAHNER 1984, S. 354; 369)
Immerhin gab es schon in der Diskussion nach der katholischen Kirchenreform die Hoffnung, dass die theologische Diskussion zwischen den Konfessionen langfristig einheitsbildend wirken könnte, natürlich nur in der Weise, die evangelische Theologie in die katholische zurückzuführen, was de facto ein Ende der evangelischen Kirche impliziert.

Fazit

Insofern ist die Haltung Benedikts XVI. verständlich, wenn er in Erfurt zum Thema Ökumene die Position vertritt: "ICH stehe hier, ich kann nicht anders". Das hier skizzenhaft wiedergegebene katholische amtskirchliche Denkgebäude erklärt aber aus meiner Sicht nicht die starre Haltung des Vatikans zum Thema verschiedenkonfessioneller Ehen oder das Festhalten am Zölibat, ganz zu schweigen von der Ablehnung des gemeinsamen Abendmahls, das den Katholiken bei der Teilnahme an evangelischen Gottesdiensten immer wieder in Gewissenskonflikte stürzen kann.

Auch bei vollem Verständnis der verschiedenen abweichenden Lehrmeinungen (Eucharistie, päpstliches Lehramt usw.) wird die katholische Kirche nicht umhin kommen, mit Blick auf den Priestermangel, den Verlust von Mitgliedern usw. neue Wege zu beschreiten. Mit katholischer Kirche meine ich vor allem engagierte Mitglieder, die mehr oder weniger engagiert versuchen, bei der katholischen "Stange" zu bleiben. Auf die Kirche der Gläubigen (nicht der Amtskirche!) kommt es an, ob es in absehbarer eine wirkliche Annäherung zwischen den Konfessionen geben wird oder das starre Korsett der Kirchenamtlichkeit verschwindet. Schon aus organisatorischen Gründen ist die Struktur der katholischen Amtskirche auf dem platten Land nicht überlebensfähig, es sei denn wir kommen zu einem neuen Amtsverständnis, d.h. der Integration der "Laien" in die katholische Verkündigung, im Gottesdienst, in der Seelsorge - wie das inoffiziell an vielen Stellen schon geschieht.

Nachbemerkung


Dieser Artikel entstand nach Lektüre des sehr lesenswerten Blogs von Henning Noske. Das besprochene Kapitel von Karl Rahner ist am Ende dieses Artikels bibliografisch belegt (mit besten Grüßen an Herrn zu Guttenberg ;-) ).


Hinweisen möchte ich noch auf den hörenswerten Kommentar von NikolausGerman, Autor und freier Journalist im "Deutschlandradio Kultur" am 29. September 2011, der in die selbe Kerbe haut.


Mein Beitrag erhebt nicht den Anspruch auf theologische, sozialwissenschaftliche oder gar politische Korrektheit. Ich stelle lediglich meine subjektive Betrachtung der angegebenen Quellen dar.


Letzte Bemerkung: Ich fühle mich vielen evangelischen Christen in tiefer Freundschaft verbunden!




Verwendete Literatur


Die von mir verwendete Sekundärliteratur von 1984 ist nicht mehr lieferbar. Es existiert eine Neuauflage


Rahner, Karl: Grundkurs des Glaubens. Herder, 2008. 

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